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Das Paparazzis-Journal

Das Urteil


Am 12.10.2002 standen sich in einer Punktspielbegegnung die Mannschaften des FC Sachsen und VfB Leipzig gegenüber - und es sollte ein ganz besonderer Tag werden. Nicht nur die traditionell aufgeheizte Derbyatmosphäre, nein auch der erneute UnkrautEx-Anschlag auf den Leutzscher Rasen setzten der von Verein und Sicherheitskräften erwünschten Spieltagsstimmung zu. Als sich dann in diversen Internetforen eine Schar unbelehrbarer "Erlebnisfans" aller Couleur zum finalen Klimax verabredeten, war man gut beraten, seinen angestammten Platz auf dem Dammsitz zu Gunsten einer sichereren Norddamm-Position einzutauschen. Das Ende vom Lied ist bekannt: Knapp zwei Dutzend Feuerwerkskörper flogen der Jahreszeit unentsprechend umher, das Gros sogar in einer Höhe, bei der Menschen aufs Schwerste verletzt werden konnten. Wem aber auch immer sei Dank, ging dieser Kelch an den Gästen vorüber und das "Spiel" konnte nach zirka 20-minütiger Unterbrechung weitergehen.


Drei Wochen sind mittlerweile vergangen, Erinnerungen aber sind geblieben. Da waren eine zögerliche und überforderte Polizei, eine lächerliche Organisation der Sicherheitskräfte und die an Hirnrissigkeit kaum überbietbaren Transparente mit äußerst bedenklicher Ironie-Interpretation. Diese taten weh, aber nur einen Augenblick und nur dem Auge des Betrachters, welcher einen IQ größer als den einer Schinkenstulle sein eigen nennt. Also keine irreparablen Schäden an Leib und Leben, obschon Leipzigs Reputation als Austragungsort für Olympia massiv darunter leiden dürfte. Doch die Gerechtigkeit hat gesiegt. Der VfB wurde in der später stattfindenden Verhandlung des NOFV mit einer grandiosen Strafe belegt: Das nächste Derby wird unter Ausschluß der Öffentlichkeit ausgetragen. Das bedeutet nach eigenen Angaben eine Minusposten von Euro 50.000 in der Bilanz. Also alles in Butter. Oder doch nicht?

So sehr sich die Anhänger der Probstheida-Opposition jetzt freuen - Einen echten Grund dazu haben sie nicht. Das Zauberwort heißt nämlich "Präzedenzurteil" und kann zum einem großen Bumerang für all die Vereine werden, welche der NOFV-Gerichtsbarkeit unterstehen. Gehen wir die Fakten gemeinsam durch:

Fakt Nummer Eins:

Der Gastgeber ist für die Sicherheit im Stadion verantwortlich. Dabei ist es unerheblich, ob sich die eigenen Fans oder die Anhänger der Gastmannschaft als kritische Masse entpuppen. Die Sicherheitsrichtlinien des DFB lassen dem Ausrichter hierbei mehr als freie Hand. So kann er zum Beispiel den "Ausverkauf" der Karten proklamieren und niemand käme mehr hinein, falls sich das Verhältnis des Andrangs und die Gewährleistung der Stadionsicherheit zu Ungunsten des Letzteren verschieben sollte.
Somit ist eine Abstrafung des Gastvereins durch den NOFV nicht nachvollziehbar.

Fakt Nummer Zwei:

Der Gastgeber hat mehrere Möglichkeiten einer "präventiven Deeskalation". So ist es zumindest in der Bundesliga Usus, die eigenen Sicherheitskräfte durch die Ordner des Gastvereins zu verstärken. Hörensagen zu Folge ist dies auch pro Forma beim Derby geschehen, aber offensichtlich haben die Eingangskontrollen in den empfindlichen Bereichen entscheidend versagt. Letztendich ist dies wieder ein Lapsus der Gastgeber.
Somit ist eine Abstrafung des Gastvereins durch den NOFV nicht nachvollziehbar.

Fakt Nummer Drei:

Sollte der Fall eintreten, dass Gästefans aus welchem Grund auch immer eine Eintrittskarte für den Heimbereich erworben haben, ist es ohne weiteres möglich, den Aufdruck der Kategorie zu ignorieren und sie in den Gästebereich zu verweisen. Außerdem sollte bei Spielen dieser Brisanz zwischen den Parteien ein Pufferblock eingerichtet werden, welcher handgreifliche Übertretungen der guten Sitten ausschließen soll. Nun ist dies in Leutzsch auf Grund der Stadionbauweise nur bedingt durchführbar, aber die Ecke zwischen Dammsitz und Gästeblock ist einfach genug abzuschirmen ohne das ein Eskalationspotenzial entsteht.

Gänzlich falsch war hingegen die Methode "VfB-Fans" ohne weiteres im Heimbereich zu plazieren. Damit hat man Übergriffen Tür und Tor geöffnet und ist sehenden Auges ins Verderben gerannt. Das die Polizei sich in diesen Zeitpunkten offensichtlich zu Tode deeskaliert hat, steht auf einem anderen Blatt und wird hoffentlich noch gesondert durch die zuständigen Organe behandelt. Somit ist eine Abstrafung des Gastvereins durch den NOFV nicht nachvollziehbar.

Doch das Leben an sich kennt viele Gerichtsbarkeiten. Einerseits die Justiz und andererseits die Moral. Nun soll aber keine dröge Gardinenpredigt folgen. Rollen wir stattdessen die Argumentationen der Verursacherpartei auf.

  • Da wird von provokanten Verhältnissen gesprochen, weil die Polizei sich nicht den Wünschen entsprechend verhalten und vor dem Gästbereich eine Verzögerung zur Kanalisierung der Massen vorgenommen hat.
  • Da fühlte man sich provoziert, weil irgendwer die Zäune mit Vaseline eingerieben hat.
  • Da buhlte man um die "verständliche" Agressionsabfuhr via Faustkampf, weil der VfB nur 1600 Eintrittskarten für den Vorverkauf zugesandt bekam (von denen mangels Nachfrage um die 150 wieder zurückgegeben wurden).

Welcher Rasse gehören solche Geschöpfe an? Ich vermeide durchaus bewußt eine vorgreifende Spezifizierung, da sich der geneigte Leser eine eigene Meinung bilden soll. Ist es denn so schwer, beim Besuch eines Fußballspieles (und über nichts anderes sprechen wir hier: kein Kreg, kein Klassenkampf, nur Fußball) die Neandertalensis-Phase zu überwinden und wie ein gebildeter, begeisterter und in seinen Emotionen halbwegs gefestigter MENSCH aufzutreten? Wo liegt das Problem innerhalb einer Zivilisation sich der gemeinschaftsgegebenen Institutionen zu bedienen und Mißstände anzuprangern, statt sie mit Phosphor- und Magnesiumhaltiger Leuchtspurmunition in Augenhöhe zu manifestieren? Wächst dem so provozierten Geschöpf im Affekt ein solches aus einer Körperöffnung und muß einer menschlichen Blähung ähnlich einfach so entweichen um gesundheitliche Probleme zu vermeiden?

Und wo bitte existiert die Erkenntnislücke die es erklärbar macht, Personen deren Wirken und Schaffen auf das Leid und die Vernichtung anderer Menschen basiert, als "Joke" oder "ironischen Beitrag" zu verwenden? Ist das, wie von einem führenden Mitglied der Probstheidaer Fankultur in einer privaten E-Mail-Korrespondenz versuchsweise erklärt, toleranzpflichtig im Zuge einer weltoffenen Anschauung?

Oder hab ich wiedermal nichts mitbekommen? Haben wir wieder Faustrecht? Blutrache? Scharia? Kanibalismus und Barbarei? Ich bin doch noch in Deutschland, oder? Goethe, Kant, Beethoven und so?

Fazit:

Warum ist schlußendlich dieses Urteil so gefährlich? Weil wir alle - und damit meine ich wirklich alle Fußballfans - zu einem Faktor gemacht werden, der wir nicht sein dürfen: Ein Spielentscheider am berüchtigten grünen Tisch. Es darf nicht sein, dass die Gastmannschaft für Fehler aus Unwillen oder -vermögen der Heimmannschaft einen Strick gedreht bekommt.

Warum es soweit kam, wissen allein die Entscheider. Sei es Profitgier oder Unfähigkeit, der schale Nachgeschmack wird bleiben und die drei Punkte gegen den Erzrivalen versüßen die Angelegenheit nur unwesentlich. Präsident Rocca tat gut daran, einen offenen Brief der Fürbitte abzusenden, denn auch er wird sich der Gefahr dieses unsinnigen Urteils bewußt sein. Selbst wenn es einigen Hardlinern im eigenen Lager nicht gefällt: In der Stunde des Triumphes zeichnet sich der wahre Sieger durch Großmut aus.

Wir alle sind irgendwann Gästefans und laufen somit Gefahr, von unlauteren Sportparasiten der Kategorie C befallen zu werden. Diesmal waren es zwei Dutzend Raketen, in naher Zukunft reicht vielleicht schon eine einzige aus, welche von einem noch dünnhäutigeren Richter beurteilt werden muß. Man stelle sich einmal dieses Szenario in einer über Wohl und Wehe entscheidenden Relegation vor...

Abschließend lässt sich sagen, dass für die Ereignisse und Eskalationen am Spieltag der FC Sachsen Leipzig 1990 e.V. in der vollen und nicht wegdiskutierbaren Verantwortung steht. Die Ursachen jedoch liegen beim VfB Leipzig, denn solange man dort nur medienwirksame Lippenbekenntnisse an die Stelle von fruchtbaren Maßnahmen setzt, wird sich nur eines ändern: Das Ansehen der Sportstadt Leipzig. Und das hat jetzt schon nur noch einen mikroskopisch kleinen Weg zum Abgrund zurückzulegen.

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