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Kapitel XVII des Paparazzis-Liga-Tagebuches

Jena, 8. Dezember 2002: "Dinge, die der Mensch braucht"


Fußballer sind schon eigenartige Menschen. Zuweilen beglücken sie unaufgefordert diesen unseren Planeten mit Lebensweisheiten, Frisuren oder Bräuchen, welche in ihrer Komplexität schon fast philosophisch erscheinen (minipli rei = Alles lockt). Obschon der Deutsche an sich ein ausgefeiltes Repertoire an Zwängen mit sich herumträgt, ist er gerne bereit, jede weitere, auch nur ansatzweise erfolgsversprechdend scheinende Marotte zu übernehmen. Während sich der Amerikaner maximal an Rocky Balboas "Bumsen macht die Beine schlapp" halten kann, verwandelt sich speziell der Kult des Fußballfans in eine Kollektion obskurer Verhaltensweisen. Und warum nicht? Wenn´s wirkt...


Oder mal unter uns Klosterschülern: Wer von Euch bearbeitet seine Gesichtsbehaarung am Spieltag? Oder schläft am Abend zuvor mit seinem Lebensabschnittsgefährten? Oder, um es auf die Spitze zu treiben, hat Sex mit seiner Frau unter zu Hilfenahme eines Rasierers? (Nein Herr Hoeneß, sie nehmen wir hier mal raus, setzen sie sich wieder.) Wir alle haben unsere Riten. Nicht genug, dass wir auf vollkommen TRAINERslästerliche Weise solch wilde Bräuche wie das christliche Ostern, den moslemischen Rammadan oder die Sri Lankanesische Spassbeschneidung begehen, wir pflegen unsere Macken auch vorm Fußballbesuch. Ich gestehe: Bei mir ist es Heinrich Böll.

Immer wenn ich Böll bei mir trage, gewinnt mein Team. Jetzt werdet ihr vielleicht denken "Boah, hat der nen Schuss, BÖLL, tstststs!", aber Kafka hat es echt nicht mehr gebracht, da kam meist nur ein mickeriges Remis raus. Aber der olle Heinrich ist fast schon eine Bank. Ausserdem ist es immer wieder bezaubernd, in ländlichen Gegenden wie Braunsbedra oder Dresden (sorry liebe Braunsbedraner, aber Tatsache!) die Ordner zu foppen. Bei der unumgänglichen Leibesvisitation nebst Gesinnungscheck und DNA-Speichelprobe stösst jedesmal einer der Sonnenbänker auf meinen Relikt. Wenn er einen guten Tag hat, schaut er verdutzt, lässt die Mechanik im Kopf rotieren das es nur so qualmt und mich am Ende ungeschoren durch. Wenn ich aber Pech habe und sein Traktor gestern geknackt oder sein Lieblingsschaf beim Klonen verbruzelt wurde, kommt es meist zu solch einem Dialog:

Ordner (verwundert und angestrengt autoritär): "Wasndas!?"
Ich (natürlich liebevoll und menschenfreundlich wie Gandhi): "Ein Buch. Böll. Mein Glücksbringer."
Ordner (noch verwunderter): "Willstelesen beim Spiel?"
Ich: "Vielleicht in der Pause. Aber es ist eigentlich nur ein Talisman."
Ordner (sich im Inneren auf den Brüller des Jahrtausends vorbereitend): "Was? Ein Taliban?"



Der Ordner schaut sich teils verunsichert, teils triumphierend um, ob sein Kollege diesen Jokus mitbekommen hat. Hat er aber nicht, da er gerade zum Zwecke der Sicherheitswahrung einen Finger in der Körperhöhle seiner Wahl eines Gästefans vertieft. Plötzlich betritt der Chef der Stadionbüttel mit den Körpermaßen 1,50mx1,50mx1,50m (ohne Bomberjacke!) und 3,45 Tuben Gel im 6mm-Haar die Szene.

Chef (jovial und noch viel angestrengter autoritärer): "Gibts ein Problem?"
Ordner: "Der hier hat ein Böll dabei, geht das in Ordnung?"
Chef: "Piero...Büro...Pycho...Feuerwerkskörper verstoßen gegen die Stadionordnung."
Ich: "Ist ja auch nur ein Buch und keine Rakete."
Chef: "Über Feuerwerkskörper?"
Ich: "Nein, über ´Die verlorene Ehre...´, ähem, über die BILD-Zeitung."
Ordner: "Ich denke über Böller?"
Chef: " Feuerwerkskörper verstoßen gegen die Stadionordnung."
Ich: "Nein, nur von Böll! Und das hat nichts mit Böllern zu tun!"
Chef: "Zeig mal her."



Ich gebe ihm das Buch. Beim untersuchen des corpus delicti schneidet sich der Chef an einer Seite in den Finger und befindet, dass mein Buch als gefährliche Waffe keinen Zutritt zum Stadion erhält. Böse Welt. Seitdem habe ich immer ein Zweitexemplar im Wagen.

So auch am letzten Spieltag in Jena. Nachdem wir in Thüringens Metropole Nummer 325 (blühende Landschaften!) angekommen waren, bewaffneten wir uns mit allerlei Tand (Personalausweis, letzter Wille und Raucherbeinprothese) und Glücksbringern (Paparazzis-Schal, etc...). Während die meisten auf dem Parkplatz ihre weißblechdosenverpackte Talismane verkonsumierten um sie geheimnisvoll und verschwörerisch in ihrer Blutbahn durch die Kontrolle zu bringen, hieß es für uns Fußmarsch um das Stadion, denn wie sagte schon ein altes deutsches Sprichwort aus Judäa: "Wer zuerst kommt, testet zuerst Bratwurst". Doch es sollte alles anders kommen.

Da man in Jena mittlerweile durch die halbe Metropole muss, um an den Gästeeingang zu kommen, brauchten wir fast mehr Zeit für den Fuß- als für den Fahrtweg. Endlich angekommen stellten wir fest, das wir uns in einer Uni-Stadt befinden. Die Kassiererinnen forderten unbarmherzig jeden, der nach Ermäßigung begehrte, auf einen Studentenausweis vorzulegen. Viele von uns waren zwar blau wie ein Theologiestudent im 38. Semester, doch fehlte es den meisten an der staatlichen Legitimation zum Hochschulbesuch (auch "Schluckerpass" oder "Müslischein" genannt). Also voll bezahlen - aber man kann ja nicht immer gewinnen.

Spontan ging ich durch ein Drehgitter, welches mir als moderate Pforte für ungeliebte Gästefans erschien. Die Ordner und Ordnerinnen des FCCZJ staunten nicht schlecht, als ich ihnen meine Eintrittskarte vorzeigte und mich zur finalen Abtastung bereit machte. Mir entging nicht, dass sie mich anstarrten wie den Heiland himself, obwohl man das bei einer Körpergröße von 2,02 m häufiger erlebt. Ich schob es in meiner Bescheidenheit auf das innere Leuchten meiner Leipziger Herkunft, welches mich gottgleich und vor Weisheit strahlend über den Planeten wandeln lässt. Als ich nun so dastand, Hosen unten und in leicht devoter aber dennoch kooperativer Körperhaltung auf die Leibesvisitation wartete, erörterte mir einer der Ordner (welche sich in den 15 Sekunden meiner Anwesenheit verhundertfacht hatten), dass ich den Eingang der Heimfans benutzt hatte. Ich erwiderte das mit einem grenzdebilen "Na und?", schließlich hat man als Fußballfan ein Klischee zu erfüllen, doch dass schien ihn nicht zu beeindrucken. Freundlich aber bestimmt bat er mich, das Stadion zu verlassen und bitte den mir angedachten Eingang zu nutzen.

Hier versammelte sich in der Zwischenzeit ein mittelgroßes Streitheer von Polizisten, welche im Akkord filzten. Auf die Frage, wieviele mongolische Völkerstämme denn heute erwartet würden, antwortete man vorsichtig: "800 Leutzscher". Rein gefühlsmäßig hätte das dann also einen Polizisten pro Fan ergeben. Ich fühlte mich sicher. Bis zur Leibesvisitation...

Polizist: "Aha, ein Buch!"
Kurze Anmerkung: Der Polizist hat das von alleine erkannt! Ohne fremde Hilfe!
Ich: "Ja. Böll. Kein Feuerwerkskörper, somit legal."
Polizist: "Willst Du lesen?"



Den Rest kennt man. Nur hat mir diesmal die anbrandende Fanmasse geholfen, denn es begehrten noch hunderte Einlaß (Welch historisches Zitat). Doch nicht nur das, nein auch Speis und Trank. So begab es sich, dass zum käuflichen Erwerb der Testwürste eine Anstehdauer von - festhalten - 35 Minuten (!) nötig war! "Ok", dachte ich mir, "im Mutterland der BraWu kann ich damit leben. Dafür müssen die Johnnies ja richtig super schmecken!" Fehlanzeige. Stellen wir mal die These auf, dass sich Fleisch in den Würsten befand. Gehen wir weiter davon aus, dass hierfür Tiere sterben mussten, kann man getrost von sinnlosem Massenmord sprechen. Aber keine Angst, denn der Geschmack der "Würste" hat en Namen nicht verdient und erinnerte eher an die von biologisch freien Inhaltstoffe Sojamehl und Erdöl. Ich glaube, wenn man eine Tonne der Rohmasse püriert und verflüssigt, erhält man einen prima Raketentreibstoff...

Zum Spiel: Eigentlich ist ja alles klar. Wir fahren nach Thüringen, holen uns eine Klatsche ab und fahren traurig aber masochistisch vollkommen befriedigt nach Hause. Denkste! Die vollkommen verunsicherten Jenenser (?) waren mit ihren Gedanken wahrscheinlich schon im Weihnachtsurlaub und so siegten unsere Helden vollkommen verdient mit 3:1. In Unterzahl, da Libero Nickeleit nach einer Einlage als Notbremser vom Platz musste. Da blieb selbst Hannibal Lect...sorry, Wolfgang Sandhowe die Spucke weg. Der Gästeblock tobte, die Heimtribüne weinte und vergass am Ende sogar, uns als "Sachsen-Schweine" zu betiteln. War uns aber eh egal, da die Thüringer Kiddie-Fraktion in Jena-Trikots das ganze Spiel durchkrakeelte.

 


Ein unerwarteter Sieg - Koelensdaed kann es heute noch nicht fassen. Und der hat schon alles gesehen. Das Leben ist schön.

Das Paparazzis-Barometer für Jena

Verpflegung
  • Ein BraWu-Stand für 800 Leute
  • Wurst war der Rede nicht wert: 3 von 10 Punkten
  • Glühwein war recht gut - Falls man sich Alkohol abgewöhnen wollte

Support
  • Mannschaft trieb mit ihrer Spielweise die Fans zum Wahnsinn
  • Weiter SO!
  • Klasse Stimmmung bei den Chemikern

Sicherheit
  • Unmengen Polizei und Security
  • Machten ihren Job aber recht gut

Reisequalität
  • Grosser Parkplatz vorm Stadion machte es einfach
  • Leider ewig langer Fußweg bis zum Gästeeingang
Heimfans
  • Lauter Kinder auf der Tribüne, die uns ständig belegten
  • Allgemein etwas feindselig
  • Aber nicht handgreiflich

Fazit: Aha, ein Buch...


Und so wird bewertet:
  • 5x Tux: Prima! Sehr Gut! Weiter so! Alles für das Volk!
  • 4x Tux: OK, aber irgendetwas stört
  • 3x Tux: Naja, nicht schlecht, aber auch nicht gut
  • 2x Tux: Oje, hier muß dringend was getan werden!
  • 1x Tux: Ziemlich SADDAM hier. Raus aus unserer Liga!!!

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