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Kapitel XVII des Paparazzis-Liga-Tagebuches

Hoyerswerda oder "Reise in die Vergangenheit"


Die Zeit - Was ist das? Die Erklärungsversuche beschäftigen Denker aller Professionen von Physik bis Philosophie. Fakt ist, dass sie in einigen Gegenden dieser unserer Republik stehengeblieben scheint. Nun mag der eine oder andere an das patriacharliche Abstoibern einiger weissblauer Politiker oder die "Hilfe mein Hirn ist kleiner als ein aufgeweichtes Brötchen"-Aufmärsche der braunen Gesellen denken, doch dass betrifft die wahre Zeitreise eher weniger. Die Lausitz als "Vergnügungspark Ossiland" - ein Statusbericht.


Ewiggestrigtum - Welch ein Wort. Was normalerweise eine eher nachteilige Eigenschaft verbitterter Altkader ist, wird in Hoyerswerda zur Lebensphilosophie. Und das in derart authentischen Art und Weise, so dass wir hier doch mal ehrlich sein müssen: Nicht nur eine friedliche Revolution, "Robby"-Jeans und Vita-Cola stehen auf der Haben-Seite der DDR-Bevölkerung. Gerne werden auch die kleinen Schrulligkeiten verschwiegen, welche den gemeinen Ossi zum Kultobjekt des Warschauer Paktes machten. Und das völlig zu Unrecht. Welcher Bremer Bürger hat zum Beispiel jemals beim Versuch in einem Restaurant zu essen brav auf den Kellner gewartet, da man ja "plaziert" wurde? Oder wieviele Münchner habe maximal an der Obstabteilung von ALDI nach Bananen angestanden? Doch höchstens zwei und das nur, weil der erste die mit den braunen Flecken wegsortiert hat. DAS hätte es bei uns nie gegeben!

In Hoywoy wird nun scheinbar mit den Mitteln des Bundes, der Länder und der EU ein realsozialistischer Kulturpark erschaffen. Da dieser Park auch eine eigene Kickertruppe unterhält, nahmen wir, die Stiftung Paparazzistest, den Anlass wahr und reisten in die zwei Stunden entfernte Kulturkulisse. Was dem Betrachter sofort auffällt, sind die zweisprachigen Auszeichnungen der öffentlichen Anlagen und Strassen. Bedingt durch die sorbische Landsmannschaft, einem immer gern gesehenen Gast im regionalen Nachtfernsehen, kann der interessierte Besucher seine Kenntnisse in slawischer Mundart ausbauen. Etwas irritiert wird der Neu-Ossi aus den 50 neuen West-Bezirken aber durch die Originalauszeichnung der Waren bei McDonalds - hier täte eine konsequente Umsetzung des dual-linguistischen Prinzips einiges für die Völkerverständigung, denn wer würde nicht gerne in stilechter Kulisse einen "Bolschoi Mäc mit malenkije Karena" bestellen?


Eine Stadt - Ein Stil - Eine Stalinallee. So zogen unsere knallharten Tester nach ihrer Ankunft durch die vorbildlich nachempfundenen Strassenkulissen, welche das Flair des XX.Plenums des ZK in einer so phlegmatischen Langeweile reflektierten, dass man schon ein schlechtes Gewissen bekommen müsste, denn Eintritt beim Überfahren der Stadtgrenze hatte keiner entrichtet. Doch so lebensecht die Szene auch erschien, wir hatten unsere Zweifel, ob die konsequente Stildisziplin auch bis in die hintersten Ecken durchgehalten werden würde. Fest entschlossen, den Lesern einen vollständigen Reisebericht zu liefern, nahmen wir uns vor, eine gastronomische Einrichtung zu besuchen - ein guter Entschluss, wie sich später herausstellen sollte. Stolperstein Nummer eins: Wo ist hier die nächste Kneipe? Wo der Neu-Ossi verzweifeln würde, kommt der Tester mit der einfachen "Bernd, frag mal die Frau da drüben"-Methode weiter. Ein mittelaltes Muttchen mit mittelblondem Haar, mittelgroßer Statur und mittelmäßigen Klamotten (Lokalkolorit!) trabte nebst Handwagen durch die Ödnis. Tester Bernd, verkleidet als Fußballfan, ging auf sie zu und trug sein Anliegen vor.

"Nuschel, nusncidoem disom osjfoemd nuschelnuschel brabbel dxsobnsoi...", meinte die Angesprochene und Bernd schaute zugegeben etwas verdutzt zum Rest der Truppe, während sein Opfer die Konsternierheit des Testers ausnutzte und ortskundig in den Neubauschluchten verschwand. Also zweiter Versuch. An einer Ampel standen zwei Radfahrer und warteten auf ihr grünes Signal. Bernd ergriff wiederum die Initiative, doch hier scheiterte der erfahrene Fremdenführer und Kneipenfinder erneut, denn einer der Radfahrer war schneller als er und flüchtete halsbrecherisch über die ROTE Kreuzung. Das war zuviel. Während Radler Nummer Zwei ebenfalls versuchte, das Weite zu suchen, mobilisierte Bernd all seine körperliche Fitness und verfolgte den Flüchtigen über die Strasse bis er ihn auf einer Querungshilfe stellen konnte.

"Da lang, irgendwo, bis zum Einkaufszentrum", meinte unser Führer und untermalte das Ganze mit weitausholenden Gesten der Ahnungslosigkeit. Also suchten wir ein Einkaufszentrum, welches sich nach einer Weile des Suchens als Supermarkt mit Schlüsseldienst herausstellte. Doch dort fanden wir sie - Die gastronomische Höchstleistung des Okzident, das "Maxim" der Lausitz oder kurz "Die Broilerbar". Dem hungrigen Gast bietet sich dort im stilechten Ambiente ein stilechter Oberkellner, welcher in Personalunion den Barkeeper und Pausenclown mimt.
Erste Frage des Gastronomen:"Na, wie gings denn aus?"
Verdutzte Blicke unsererseits. "Wie liefs denn so? Wars ein erfolgreiches Spiel?", wiederholte er den wohl mißlungensten Smalltalkeinsteig seit "Du sollst nicht..."
Plötzlich dämmerte uns, dass er annahm, das Spiel wäre zu Ende und wir wollten nur ein Feierabendbier. Der kurze Kontrollblick auf die Uhr und den "Raum-Zeit-Kontinuum-o-maten" bestätigten uns, dass wir noch eine Stunde bis zum Anpfiff hatten. Schwamm drüber. Man kann ja nicht alles über Fußball wissen. Zumal wenn die Kneipe 700 m vom Stadion entfernt liegt....

Also Essen und Trinken: Halber Broiler mit Brot: Euro 4,90! Betonung auf Euro! So entschlossen sich zwei Ausgehungerte Mitglieder des Fanclubs doch etwas zu essen. Leider dürfen wir ihre Namen nicht nennen, da sie eine Steuerprüfung befürchten müssten, wenn es sich herumspräche, dass sie in der "Broilerbar" gespeist haben. Schon nach 40 Minuten waren die Mickerlinge da, serviert mit einem Gesicht, dass regelrecht schrie: SIE WERDEN PLAZIERT! Also nix wie raus und ab ins "Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion", denn zu Hause ist es immer noch am schönsten. Doch dort der nächste Schock: ES GAB KEIN BIER! Der edle Trunk wurde mit ALDI-Brause zum Radler vergewaltigt. Doch das schien keinen Verkäufer daran zu hindern, Euro 1,80 für dieses Konglomerat von Lecker und Bääh zu verlangen. Wer sein Heil am Brawu-Stand suchte, konnte sich vor Ort mit der Problematik der gestiegenen Lebenshaltungskosten befassen. Euro 2 - Ohne Worte. Wahrscheinlich ist bei jeder Speise ein Kultureuro von der Stadtbezirksleitung draufgeschlagen worden...

Das Spiel selber war eine saubere Sache. Die Chemie-Boys gingen mit einem komfortablen 3:0 Vorsprung zum Pausenbier und liessen uns in der zweiten Hälfte lustiges Wörterraten spielen: Finde 126 Synonyme für Langeweile. Der Sieger hiess "Zweite Hälfte in Hoyerswerda" und gewann einen Gutschein: Einen Besuch in der Broilerbar. Rot Front!


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